In der Artikelreihe „Vergessenes aus der Schatztruhe“ wollen wir euch in regelmäßigen Abständen besondere Maker-Spiele vorstellen. Den Anfang soll dabei Aldaran machen, das vor fast 20 Jahren erschien und damals eines der am heißest erwarteten deutschen Maker-Spiele war. Das von KillatHome und Crocodog entwickelte Spiel hatte es wie nur wenige andere Maker-Titel geschafft, einen immensen Hype zu erzeugen. 2004 gab es in der Szene kaum ein Projekt, in das ähnliche hohe Erwartungen gesteckt wurden und das vorab praktisch unisono positive Reaktionen erhielt.
Weshalb Aldaran derart mit Vorschusslorbeeren überschüttet wurde, ist auch heute noch gut nachvollziehbar. Besonders die Optik wusste zu begeistern, setzte das Spiel doch auf den damals in der Maker-Szene noch recht unverbrauchten und „realistisch“ anmutenden Suikoden-Grafikstil, welcher sehr gekonnt verwendet wurde. Besonders eindrucksvoll war das ebenfalls von Suikoden inspirierte Kampfsystem, welches auf Screenshots fast schon an eine 3D-Optik erinnerte. Beide Entwickler waren zudem keine Unbekannten, sondern jahrelange Szene-Veteranen.
In Aldaran war aber auch abseits des Mappings und Kampfsystems enorm viel Aufwand und Liebe für das Detail geflossen. Speziell in Worldbuilding und Hintergrundgeschichte waren ein zentraler Aspekt des Spiels; Aldaran präsentierte sich als episches High-Fantasy-Werk; von Anfang an wurden in den Präsentationsthreads längere Auszüge der Story und Beschreibungen der Spielwelt veröffentlicht. Quantität und vor allem Qualität dieser Texte gingen dabei weit über das von anderen Projekten Gewohnte hinaus. Die hohe Textqualität zog sich sich auch durch die Dialoge des Spiels. Diese waren nicht nur erstaunlich gut und fehlerfrei geschrieben, sondern boten auch einen hohen Grad an Interaktivität. Mit praktisch jedem NPC gab es mehrere Dialogoptionen und selbst Objekte konnten mehrfach „angesprochen“ werden, wobei sich die Inhalte bei erneutem Ansprechen änderten. Maßgeblich für die Texte und Geschichte verantwortlich war Crocodog, während KillatHome den Großteil der Technik und des Mappings übernahm.
Aldaran gehörte zu denjenigen Maker-Projekten, deren eigener Anspruch so extrem hoch war, dass eigentlich absehbar war, dass sie realistisch niemals fertig gestellt werden würden. Augenfällig war die äußerst hohe grafische Qualität, die auf den in der Maker-Szene noch unverbrauchten, “realistischen” Suikoden-Stil setzten. Auch das eigene Kampfsystem war von Suikoden 2 inspiriert, optisch höchst beeindruckend und eines der Aushängeschilder des Spiels.
Zur hohen grafischen Qualität kam ein riesiger Katalog an geplanten technischen Features, sodass es erstaunlich ist, dass von Aldaran überhaupt eine spielbare Version erschien. So waren zwei unterschiedliche Soundtracks, einmal im MP3-Format und einmal im Midi-Format, für alle ohne MP3-Patch oder mit einer Vorliebe für Chiptunes, vorgesehen. Neben den Klassikern der technischen Profi-Features, dem eigenem Kampfsystem und einem in der Demo nicht enthaltenen Menü und Tag-Nacht-Wechsel, wurde hohe Interaktivität versprochen und es war geplant, praktisch alle Maker-Standards durch eigene Systeme zu ersetzen. Selbst das Shop-System sollte ausgetauscht werden. Inwieweit solche Features einen echten Mehrwert hätten bieten sollen, war nicht ersichtlich. Das war jedoch eher zweitrangig. Aldaran erschien zu einer Zeit, in der die erwarteten Qualitätsstandards der Maker-Szene ihren absoluten Höhepunkt erreicht hatten. Das Spiel stand dabei exemplarisch für genau jene ins Extreme gesteigerten Ansprüche, wenn es nicht sogar selbst den Zenith der deutschen Maker-Szene markierte.
Dementsprechend ging im Sommer 2004 der Hype um Aldaran durch die Decke. Als die Demo im August 2004 erschien, war die Resonanz sehr positiv – allerdings nicht so überwältigend, wie man hätte erwarten können. Vermutlich lag das an der der eher kurzen Demo, die zwar alles andere als ein potemkinsches Dorf war, aber eben auch keine Revolution. Das Kampfsystem zeigte sich in der Praxis nicht ganz so beeindruckend und statt beeindruckenden Multi-Charakter-Parties konnte in der Demo nur ein einzelner Held kämpfen. Es war zudem so stark von Suikoden 2 beeinflusst, dass es böse Zungen als schlechten Klon davon bezeichneten. Die Demo war zudem sehr linear; von der angekündigten Interaktivität war noch nicht viel zu sehen. Letztlich war sie nur wenig mehr als ein längeres Tutorial, das gerade einmal die unmittelbare Vorgeschichte bis zum Beginn der Hauptstory enthielt. Es war deutlich, dass diese Demo nur der erste, noch simple Auftakt zu etwas wirklich Großem sein sollte, auf das es zu warten galt. Doch das Warten war vergeblich.
Relativ bald nach Veröffentlichung der Demo geriet die Entwicklung von Aldaran ganz offensichtlich ins Stocken. Neuigkeiten vom Spiel wurden zunehmend selten, bis im Laufe des Jahres 2005 eine Portierung des Spiels auf den RPG Maker XP bekanntgegeben wurde. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Entwicklerduo vermutlich erkannt, dass für ihre derart hohen Ansprüche der RPG Maker 2000 nicht mehr die richtige Engine war. Wirklich rund lief die Entwicklung nach dem Enginewechsel aber offenbar wohl nicht mehr; zumindest zeigten danach die zuvor durchaus an PR interessierten Entwickler nur noch wenig Neues von Aldaran. Ein solcher Enginewechsel bedeutete gleichzeitig einen weitgehenden Neustart des Projekts. Vermutlich ging im Laufe dieses Schritts die Motivation, an Aldaran zu arbeiten, verloren – es war nicht das einzige Spiel, das infolge einer solchen Portierung abgebrochen wurde (siehe 1899 – London Gothic). Naheliegend ist auch, dass private Veränderungen bei den damals gerade volljährig gewordenen Entwicklern ebenfalls zum Ende des Projekts beitrugen.
Was fast 20 Jahre nach Demo-Release von Aldaran bleibt, ist ein Zeitzeugnis. Ein Zeitzeugnis des Zenits, den die Qualitätsmaßstäbe der Maker-Szene damals erreichten. Und die so hoch waren, dass ein Projekt wie Aldaran scheitern musste. Nur ganz wenige Spiele, die diesem Anspruch genügen konnte, schafften es überhaupt zu einer Demo-Veröffentlichung. Aldaran gehört dazu – und ist eine wunderbare Zeitreise in die Maker-Welt zu ihren besten Zeiten.
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